Wir lebten in einer Zeit der anstrengungslosen Kultur. Kultur solle heute in erster Linie Spektakel und Amüsierbetrieb sein. Mario Vargas Llosa rechnet in seiner Streitschrift „Alles Boulevard“ mit dieser Massenkultur ab. Der Autor ist ein eingefleischter Liberaler, doch in seinem Buch stimmt er durchaus kulturkonservative Töne an.


 

Ist Kultur heute nur noch Popcorn?

 

Von Ansgar Lange


Die herrschende Weltkultur fördere den Einzelnen nicht, sie verblöde ihn, nehme ihm die Klarsicht und den freien Willen, so der peruanische Schriftsteller. Er ist kein gläubiger Mensch, und so nimmt die Kultur bei ihm die Stelle der Religion ein. Die großen Schriftsteller wie Tolstoi, Thomas Mann, selbst Joyce und Faulkner hätten noch Bücher geschrieben, die den Tod besiegen und ihre Schöpfer überlebt hätten. Heute sei alles Popcorn.

Auch der Durchschnittsbürger wird sich dieser Feststellung nicht gänzlich verweigern können. Denn selbst in unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen findet häufig nur noch Klamauk statt. „Meisterköche“ und „Modemacher“ sind an die Stelle von Wissenschaftlern, Komponisten oder Philosophen getreten.

Spektakel und Amüsierbetrieb

Die Banalisierung und die Kultur des Spektakels haben weder vor der Politik, noch der Literatur, dem Film oder der bildenden Kunst Halt gemacht, meint der frühere peruanische Präsidentschaftskandidat. Der Siegeszug der Informationstechnologien ist für den Autor hier mehr Fluch als Segen: „Vertrauen wir einer Software die Bewältigung aller kognitiven Aufgaben an, reduziert dies die Fähigkeit unseres Gehirns, stabile Wissensstrukturen aufzubauen. Mit anderen Worten: je intelligenter unser Computer, desto dümmer wir selbst.“

Vargas Llosa belebt seine These vom Niedergang der Hochkultur an verschiedenen Beispielen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Journalismus, Religion, Erotik. „Miteinander zu schlafen ist in der westlichen Welt heute der Pornografie näher als der Erotik, und so paradox es klingt, aber es ist dies das perverse Ergebnis einer fehlgeleiteten Freiheit.“ Der Generation Youporn ist auf diesem Feld offenbar nicht mehr an Stil und Form, Sublimierung und Privatsphäre gelegen.

Der Autor hat seine Hausgötter der libertinen Literatur wie Diderot und Mirabeau, den Marquis de Sade und Restif de la Bretonne, Casanova oder Choderlos de Laclos. Nur noch Literatur für die happy few!

Eine Lösung hat auch Vargas Llosa nicht zu bieten. Wahrscheinlich deshalb, weil es keine gibt. Man muss seinem nicht sehr differenzierten, aber dafür umso pointierteren Blick auf „unsere Weltkultur“ nicht Folge leisten und kann durchaus anderer Meinung sein. Aber man liest das schmale Büchlein durchaus mit Gewinn und Freude an der Polemik.

 

Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Suhrkamp Taschenbuch: Berlin 2014, 229 Seiten, 10,99 Euro.

 

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