Kai Wambach porträtiert den CDU-Politiker Rainer Barzel



„Es ist im Interesse Deutschlands zu bedauern, dass einer Persönlichkeit von diesem Kaliber und diesem Ethos nicht größere Entfaltungsmöglichkeiten beschieden waren.“ Mit diesen Worten würdigte der Historiker Gerhard Wettig die Bedeutung des CDU-Politikers Rainer Barzel (1924-2006), dem Kai Wambach nun eine ziegelsteindicke, aber sehr gut lesbare Biographie gewidmet hat. Bereits in den 1960er Jahre galt der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als kommender Kanzler. Doch letztlich fehlte ihm das, was man wohl als Fortune bezeichnet.
Sein politisches wie persönliches Leben war oft ein „bühnenreifes Drama“. Allerhöchste politische Ämter blieben ihm letztlich verwehrt, sehr harte persönliche Schicksalsschläge konnten den gläubigen Katholiken aber nie brechen. In den drei Jahrzehnten seines politischen Wirkens beeinflusste er die Amtszeiten der Kanzler Erhard, Kiesinger, Brandt und Kohl.

Im Jahr 1970 bezeichnete der konservative Publizist Johannes Gross Rainer Candidus Barzel als den besten Fraktionsvorsitzenden, den die CDU/CSU-Bundestagsfraktion je gehabt habe. Manche schreiben diese Wertung bis in die Gegenwart fort, obwohl Barzel hochkarätige Politiker wie Wolfgang Schäuble in diesem Amt folgen sollten. Barzel galt als ungeheuer fleißig, mit allen politischen Wassern gewaschen und rhetorisch brillant. Im Gegensatz zu Helmut Kohl, mit dem er zeitlebens fremdelte, fehlte es ihm aber wohl an der nötigen Härte, um im politischen Geschäft ganz nach oben zu kommen. Barzel galt vielen als kühl und unnahbar, ja als ein „Streber“, doch Helmut Schmidt hat beispielsweise immer wieder betont, dass er nicht falsch und intrigant und auf sein Wort immer Verlass gewesen sei.

Aber er  ließ es nicht menscheln, was seinen Aufstieg nach ganz oben sicher behindert haben dürfte: „Zwar verfügte Barzel bei den Abgeordneten der Unionsfraktion über große Unterstützung, Respekt und Ansehen. Doch basiert das nicht auf menschlicher Bindung, sondern ist immer an seinen politischen Erfolg als Fraktionsvorsitzender gebunden.“ Dieses Urteil trifft auch auf spätere Funktionen Barzels, der auch ein unermüdlicher Bücherschreiber war und sich sogar als Romanautor versuchte, zu.
Er sprudelte immerzu über vor Ideen, doch damit überforderte er offenkundig seine Partei und die Politik seiner Zeit insgesamt. Und so musste er häufig feststellen: „Auch zu früh ist unpünktlich“.

Wambachs Studie dürfte aufgrund des Buchpreises und des Umfangs wahrscheinlich nicht allzu viele Leser finden. Dabei ist die Lektüre faszinierend und spannend wie ein antikes Drama. Der Autor schreibt eine klare und verständliche Prosa, bemüht sich um Ausgewogenheit und scheut auch nicht vor gut begründeten Urteilen zurück.
Barzel war unter anderem Fraktionsvorsitzender, Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und Präsident des Deutschen Bundestages. Vielleicht gelingt es Wambachs Dissertation, ihn ein wenig der Vergessenheit zu entziehen.
Kai Wambach: „Rainer Barzel“. Eine Biographie. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2019. 954 S., 98,– .

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