Langes Lektüren: „Der Snob als Superagent“ – Wie man sich die Zeit bis zum nächsten James-Bond-Film vertreiben kann

„James Bond kapituliert vor Coronavirus“ titelte jüngst die FAZ. Der Hintergrund: Der internationale Filmstart des neuen James-Bond-Streifens „Keine Zeit zu sterben“  wurde von April auf voraussichtlich November verschoben. Die meisten werden die Kultfigur James Bond aus den Filmen mit Sean Connery, Roger Moore, Pierce Brosnan oder Daniel Craig kennen.
In der Zwischenzeit kann man sich die Zeit aber auch mit der James-Bond-Bibliothek vertreiben. Die Neuausgabe bei Cross Cult kam vor ein paar Jahren mit einer herrlich bunten und trashigen Umschlaggestaltung daher. Neben den spannenden Streifen im Kino oder auf DVD sind die Bücher auf jeden Fall eine Entdeckung wert.


Am 28. Mai 1908 wurde der Schöpfer des britischen Meisterspions James Bond geboren. Ian Fleming schaffte es in nur zwölf Jahren von 1953 bis 1965, einen unverwechselbaren Serien-Helden zu schaffen, wie dies beispielsweise Agatha Christie mit Miss Marple und Hercule Poirot oder Raymond Chandler mit Philip Marlowe gelang.  Fleming hat einige seiner eigenen Interessen und Vorlieben auf sein Geschöpf übertragen. Und so schätz(t)en beide Reisen, Autos, Golf, Skilaufen, Bridge und Essen. Dass Bond – wie sein literarischer Schöpfer - ebenfalls ein großer Sammler von Büchern und Pornographie gewesen wäre, ist hingegen nicht bekannt.
Fleming ist auch als Autor eine interessante Figur. Er hat ein aufregendes Leben geführt. Zu viele Zigaretten und Drinks, anstrengende Reisen und vielleicht auch ein ausschweifendes Liebesleben haben ihn relativ früh, am 12. Geburtstag seines einzigen Kindes Casper, ins Jenseits befördert.
Ian Fleming war der Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Unterhausabgeordneten der Konservativen Partei. Sein älterer Bruder Peter war ein bekannter Reiseschriftsteller. Fleming war in jungen Jahren ein begeisterter und guter Sportler. Bei der Nachrichtenagentur Reuters lernte der gut aussehende Fleming das Handwerk des Schreibens. Für seinen Erstling „Casino Royal“ brauchte er nur zwei Monate. Bevor er im fortgeschrittenen Alter von Mitte 40 zum Autor von Spionageromanen wurde, verdiente er sein Geld als Börsenmakler und machte reichlich Spionage-Erfahrungen als Assistent von John Godfrey, dem Chef des Geheimdienstes der britischen Navy.

Flemings Bücher sind immer noch spannend zu lesen. Die Sexszenen erscheinen aus heutiger Sicht zwar harmlos. Doch in den 1950er Jahren waren sie es nicht. James Bond schläft mit Frauen aus purem Vergnügen, nicht aus Liebe oder zum Zweck der Familienplanung. Kein Wunder, dass der Frauenheld John F. Kennedy „Liebesgrüße aus Moskau“ als eines seiner Lieblingsbücher bezeichnete. Der Verkauf der Bond-Bücher hat von diesem präsidentiellen Votum stark profitiert.

Fleming und James Bond ging Großbritannien über alles. Dem Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz zufolge besteht der ursprüngliche atmosphärische Reiz der Thriller Ian Flemings „gerade darin, dass er mit scharfer Beobachtungsgabe, dies verbunden mit blendender und vielfach grausamer Phantasie, das unverwechselbare Zeitklima der fünfziger Jahre erfasst hat“. Schwarz nennt Fleming einen „sehr insularen Briten, der in erster Linie ein Snob von hohen Graden gewesen ist“.

Flemings Romane werden weder die Literaturliebhaber noch die naiven Menschenfreunde begeistern, wohl aber all jene, die einen guten Thriller zu schätzen wissen – und intelligent genug sind, um  ihn als Produkt seiner Zeit mit all ihren Neigungen, Werten und Vorurteilen zu lesen.
In Corona-bedingter häuslicher Isolation können wir gemeinsam mit 007 fantastische Geheimdienstabenteuer durchleben und gegen Finsterlinge wie Dr. No, Mr. Big, Ernst Stavro Blofeld, Auric Goldfinger, Sir Hugo Drax oder Scaramanga, den Mann mit dem goldenen Colt,  kämpfen. Ursula Andress und Halle Berry wissen wir dabei im Bikini – zumindest in unseren Gedanken – an unserer Seite.
https://www.cross-cult.de/autoren/ian-fleming.html

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